Zweites Schulentwicklungsprojekt der Lindenparkschule

Die Gebärdensprache schafft eine kulturelle Identität für die Gehörlosengemeinschaft

Bei seinem Vortrag an der Lindenparkschule, Staatliche Schule für Hörgeschädigte und Sprachbehinderte in Heilbronn am 11. Februar 2014, erläutert Helmut Vogel – Freiberuflicher Historiker und Dozent – vom Geschichtsbüro “Deaf History Now” (www.deafhistorynow.de) die aktuellen Ansichten über die Kultur und Geschichte Gehörloser / Hörbehinderter.
Die vielen gehörlosen und hörenden Besucher erleben einen lebendigen Vortag, der mittels digital übertragener und persönlich anwesender Dolmetscherinnen simultan in die deutsche Lautsprache übersetzt werden(genannt “Voicen”).
Hierbei macht Helmut Vogel einen eindrücklichen Streifzug durch die Geschichte und erläutert Höhepunkte, wie beispielsweise die ersten Deutschen Kulturtage der Gehörlosen in Hamburg 1993 mit dem Motto: „Eine Kultur bringt sich zur Sprache“ und dem Deaf History-International Kongress, der seit 1991 alle drei Jahre stattfindet, bis hin zu den Berliner Gebärdenfestivals.

Der eigene Kulturbegriff der Gehörlosen ist ihm ein besonderes Anliegen. So betont er, dass sich die Gehörlosen ein soziales Netz schaffen, in dem sie nach Gemeinsamkeiten suchen, Erfahrungen austauschen, Erlebnisse teilen. Gehörlose entwickeln dabei ein „imaginäres Land“ mit Schulen, Familien, Verein, Gehörlosen-Zentren usw.
Gehörlose, so betont Helmut Vogel, seien Menschen mit einer Doppeleigenschaft: Menschen mit Behinderungen und sprachliche Minderheit. Hierbei schafft die Gebärdensprache eine kulturelle Identität für die sog. Gehörlosen- oder Gebärdensprachgemeinschaft.

In seinem geschichtlichen Abriss beginnt der im Geschichtsbüro in Frankfurt arbeitende Helmut Vogel mit der ersten Erwähnung des Fingeralphabetes und den ersten Beschreibungen der Deutschen Gebärdensprache durch Ernst Adolf Eschke in Berlin im Jahre 1811. Die verschiedenen Methoden der deutschen Taubstummenpädagogik ab dem 19. Jahrhundert bis hin zum Mailänder Kongress 1880 finden genauso Erwähnung, wie das düstere Kapitel der NS-Zeit mit ihrer Erfindung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) welches 1933 verabschiedet wurde. Ein Dokumentarfilm mit 4 tauben Zeitzeugen verdeutlicht das Schicksal vieler gehörloser Familien auf drastische Weise.

Schließlich beginnt in den 90ger Jahren vor allem in Hamburg die Erforschung der Gebärdensprache und 2004 in Deutschland die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache im Sozial- und Verwaltungsrecht:
Artikel 30, Absatz 4: „Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität, einschließlich der Gebärdensprachen und der Gehörlosenkultur.“

Frau Schneiders, Stellvertretende Direktorin der Lindenparkschule, dankt dem eigens aus Kugg bei Frankfurt angereisten Referenten und betont die Wichtigkeit des Kontaktes zwischen den hörgeschädigten Erwachsenen und der Schule, die durch ein solches Schulentwicklungsprojekt (wie auch durch die Projekte “Aktive Eltern” oder “Brücken bauen” der Lindenparkschule) weiter gefördert werden.

(2014-02-17 J. Martens-Wagner)

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